„Omnichannel ist wie Teenagersex, alle sprechen darüber, aber nur wenige haben den Mut es durchzuziehen.“ (Alain Veuve). So kann man es natürlich auch ausdrücken. Omnichannel ist ein Buzzword im E-Commerce und das absolut zu Recht, aber viele reden halt einfach nur darüber statt es sinnvoll umzusetzen. Die Vorträge von Michael Türk und Alain Veuve führten uns von den Anfängen des Onlinehandels, den parallelen Vertriebskanälen des Multichannels bis zur heutigen Situation des Handels und seinen Herausforderungen. Am Ende steht eigentlich nur eine zentrale Schlussfolgerung: Ohne den Kunden geht nichts! Er steht im Mittelpunkt! Nur haben das die wenigsten bisher verstanden. Weder online noch offline.
Ein Paradebeispiel für diese absolute Kundenzentriertheit ist das amerikanische Modelabel Rebecca Minkoff. Die Kunden haben hier nicht nur die Wahl, ob sie online, mobil oder offline kaufen, die Kanäle sind auch jederzeit miteinander verknüpft. In den Stores von Minkhoff finden Kunden eine Videowall, über die sie das gesamte Sortiment des Unternehmens einsehen können. Artikel können damit auch direkt in die Umkleide beordert werden oder auch online bestellt werden und zum Kunden nach Hause geschickt werden. Videowall, Beacon- , RFID-Technik, intelligente Umkleidekabinen mit Touchscreens – die Reihe der technischen Möglichkeiten ist groß, aber das eigentlich Bemerkenswerte an diesem Konzept hat wenig mit Technologie zu tun. Es ist nur eine simple Frage, wenn der Kunde an der Videowall von Rebecca Minkoff zu shoppen beginnt: „Was möchten Sie trinken?“
Vom Multichannel zum Omnichannel
Hier macht sich jemand intensiv Gedanken und arbeitet mit dem Kunden. Das ist der Kerngedanke des Omnichannels: Die radikale Fokussierung auf den Kunden. Und diese Kunden unterscheiden nicht mehr zwischen den Kanälen, sie lassen sich ihre Customer Experience nicht mehr vorschreiben. Online, offline – das ist zunächst völlig irrelevant. Entscheidend ist die Brand Experience und die Einfachheit einzukaufen. Michael Türk verwies darauf eindringlich in seinem Vortrag: Es vergehen viele verschiedene Sessions, der Verbraucher durchläuft zig Stationen und nutzt die unterschiedlichsten Touchpoints wie Smartphone, Tablet, das Geschäft etc. bis es dann schlussendlich zu einer Transaktion kommt.
Daher ist Multichannel keine Option für die Zukunft, denn Multichannel bedeutet zwar viele Kanäle, aber es verbindet diese nicht zu einer Einheit, zu einem geschlossenen Unternehmensauftritt. Stattdessen glaubt man, dem Kunden vorgeben zu können, über welchen Kanal er einkaufen soll. Man schafft Konkurrenzdruck zwischen Kanälen, weil online vielleicht erfolgreicher ist als offline. Dabei kann man heute gar nicht genau nachvollziehen und tracken, wie der Kauf letztendlich zustande gekommen ist. Viele Kunden kaufen online auf dem Desktop-PC aber haben diesen Kauf bereits mobil oder in den Geschäften vorbereitet. Wem also den Erfolg zuschreiben? Nur dem Onlineshop? Ohne den mobil optimierten Shop oder die Filiale als Informationsquelle wäre die Transaktion womöglich gar nicht möglich gewesen. Und genau hier muss das Umdenken einsetzen: Es ist nicht primär entscheidend, welcher Kanal mehr Transaktionen aufweist. Es kommt darauf an, den Kunden dort abzuholen, wo er mit den Unternehmen in Kontakt treten möchte.
Relevanz statt Umsatzstärke
Das bedeutet nicht, dass man jetzt über alle möglichen Kanäle vertreten sein muss. Man muss sich die Frage stellen und evaluieren, welche Kanäle relevant sind, und nicht nur welche am umsatzstärksten sind. Alain Veuve spricht daher vom Relevant Channel. Man sollte herausfinden, welche Kanäle wichtig für seine Kundengruppen sind, und sein Geld gezielt investieren. Also wiederum die Frage: Was hilft dem Kunden? Dafür gilt es so viele Daten wie möglich zu sammeln. Da sich über die Zukunft nur spekulieren lässt, weiß man auch nicht, ob diese Daten nicht irgendwann noch relevant werden könnten. Nun ist das Tracken über die verschiedenen Devices schon eine Herausforderung für sich. Will man den Kunden nun auch in der Filiale identifizieren, kommt noch eine viel schwierigere Dimension hinzu. Der Kunde meldet sich offline nicht an. Die Kundenkarte ist dabei wohl die aktuell sinnvollste Lösung, die man offline wie auch online einsetzen kann. Damit lässt sich auch die Verbraucher in der Filiale erfassen.
Agilität und Flexibilität der IT
Ein absolutes Muss im Omnichannel Commerce ist eine agile und flexible IT. Die Vernetzung der Kanäle stellt die Systeme zunehmend vor neue Herausforderungen in Sachen Datenaustausch. Zu empfehlen ist hierbei vor allem ein Enterprise Service Bus (ESB), das die einzelnen Module wie PIM, CRM und ERP mit dem Online Shop, der App und allen zukünftigen Touchpoints verbindet. Damit besteht auch in Zukunft die Möglichkeit, flexibel zu skalieren.
Die Realität sieht dagegen zumeist anders aus. Eine veraltete Systemarchitektur ist oft der Grund, warum Omnichannel-Konzepte scheitern oder Unsummen verschlingen, weil sich bei der Erweiterung Projekt an Projekt reiht. Ähnliches gilt auch für die Auswahl des richtigen Shopsystems. Laut Veuve kämen da hauptsächlich Magento, Spryker und Shopware in Betracht, während er IBM, Hybris oder Oracle zu den Dinosauriersystemen zählt, da diese zu wenig Flexibilität für zukünftige Anforderungen bieten würden.
Offline, online, mobile – am Ende ist es alles Handel
Fehlende Visionen, Silodenken und eingefahrene Strukturen kann sich der Handel zukünftig nicht mehr leisten, egal ob online oder offline. Es gilt, mit dem Kunden zu arbeiten und diesen nicht in ein System oder eine Kategorie pressen zu wollen, sondern sich nach seinen Bedürfnissen auszurichten. Es gibt sie nicht, die reinen Onlinekunden und auch die reinen Offlinekunden nehmen rapide ab. Es wird immer Situationen geben, in denen der Erstkontakt durch einen bestimmten Kanal entsteht, in der Folge aber weitere Touchpoints genutzt werden. Wenn ich den Kunden nicht dort anspreche, wo er nach mir sucht, dann ist es wahrscheinlich, dass er zur Konkurrenz wechselt, die es besser macht! Schlussendlich sind es die richtigen Fragen, die gestellt werden müssen. Vielleicht beginnen Sie auch einfach mit der Frage, was Ihr Kunde trinken möchte.
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