Es ist deutlich ruhiger geworden. Der große Hype hat sich gelegt. Zumindest beherrscht das Thema Omnichannel/ Multichannel / Xy-channel nicht mehr derart die E-Commerce Blog-, Medien- und Eventlandschaft, wie es das die letzten Jahre getan hatte. Die Artikel werden weniger, die wenigen Artikel sachlicher und so mancher Branchenkenner dürfte sich heute bestätigt fühlen, dass er vor dem großen Omnichannel Hype gewarnt hatte. Vor einigen Jahren galt Omnichannel für viele noch als Heilsbringer für Händler, die traditionell aus dem stationären Handel kamen und sich nun immer mehr mit der starken Onlinekonkurrenz von Amazon und Co. im Wettstreit sahen. Nun, es hat sich gezeigt, dass das Omnichannelkonzept sich für die meisten eher als „Omnichannellüge“ entpuppt hat. Ein kostspieliges Abenteuer, das keinen Umsatz brachte, ja die Kunden teilweise sogar desillusioniert hatte. Dagegen machen es einige ehemalige Online Pure Player vor, wie solche Unternehmensmodelle erfolgreich sein können und eröffnen verstärkt und erfolgreich eigene Läden.
Ein Allheilmittel ist es schon einmal nicht!
Als Hype kann man es wirklich bezeichnen. Auch wir haben Anfang des letzten Jahr ein E-Commerce Forum Karlsruhe mit dem Thema „Omnichannel“ veranstaltet. Als ich mich damals intensiver damit beschäftigt hatte, habe ich auch – vielleicht etwas verblendet von den vielen überschwänglichen Beiträgen – den Omnichannel zunächst als schnelles, einfaches Erfolgskonzept verstanden. Ich musste allerdings auch ebenso schnell feststellen, dass es das nicht ist, sondern lediglich versucht die Symptome einer verschnupften Einzelhandelsbranche zu behandeln, statt die Ursache für die Probleme zu suchen.
Omnichannel funktioniert auch nur, wenn die Philosophie stimmt
Beim Vortrag von unserem Gast Alain Veuve wurde schnell klar, dass Omnichannel eine gewaltige Aufgabe für traditionelle Offlinehändler darstellt. Veraltete IT-Infrastrukturen, fehlendes digitales Know-how, hohe Prozesskosten und unnötiger Konkurrenzdruck /-denken innerhalb eines Unternehmens und zwischen den einzelnen Vertriebskanälen – das kann nicht wirklich erfolgreich sein und verschlingt Unsummen! So kann man sich nicht agil auf die sich verändernden Anforderungen seiner Kunden eingehen. Und im Endeffekt geht es nur um und mit dem Kunden. Da ist es auch ganz gleich, wie oft dieser Satz schon gefallen ist: Es darf sich niemand beschweren, wenn er diesen Satz nicht verinnerlicht und nicht die entsprechenden Maßnahmen einleitet. Eine flexible IT-Infrastruktur und ein agiler Ansatz sind heute und in Zukunft gefragt, wenn man am Kunden bleiben möchte. Man kann sich also entscheiden, ob man bessere Produkte verkauft, oder seine Produkte besser verkauft, wie es so schön heißt. Aber darum geht es im Kern.
Shoepassion zeigt, warum die Online-DNA mehr Vorteile bringt
Schuhhändler und ursprünglich Online Pure Player Shoepassion hat wie so einige Startups den Weg über den Onlinehandel in den Offlinehandel gesucht und ein erfolgreiches Omnichannelkonzept implementiert. Shoepassion hat bereits mehrere Läden in den Metropolregionen eröffnet, die als Leuchttürme im Einzugsgebiet dienen. Ja, die Verbraucher wollen Beratung und individuellen Service, gerade wenn es um exklusive Produkte wie die Herrenschuhe von Shoepassion geht, und dann ist es auch sinnvoll dahingehend zu investieren. Der entscheidende Vorteil bei Shoepassion ist, dass der Schritt von Online zu Offline deutlich einfacher zu bewältigen ist als umgekehrt. Denn laut Gründer und Geschäftsführer Tim Kending ist jeder stationäre Laden von Shoepassion eigentlich nur ein weiterer Online Shop und dann kann das Modell auch funktionieren (so steht über den Stores auch Shoepassion.com/ siehe Titelbild). Denn die technische Infrastruktur ist bereits vorhanden, an die man den „Offline Shop“ einfach angliedern kann. Man musste hier nicht die Warenwirtschaftssysteme aufwendig austauschen oder angleichen. Die Unternehmen mit der Online-DNA haben hier die entscheidenden Vorteile. Erfahrungen im Offlinegeschäft müssen natürlich auch erst gemacht werden, doch sei dies laut Kending keine „Rocket Science“.
Auf dem Pfad der Erleuchtung?
Ähnliches gilt auch für Mymuesli, die schon über 20 Läden in Deutschland und Österreich eröffnet haben, ursprünglich nur Onlinehändler waren aber jetzt die Kunden genau dort abholen, wo sie sich aufhalten, nämlich auf dem Weg zur Arbeit, und ihnen dort den Service bieten, den sie möchten: Schnell ein gesundes und individuelles Frühstück einnehmen. Die ganzen aufreibenden Diskussionen um die Umsetzung von Click and Collect, Storeshipping oder Retourenannahmen in den Läden haben diese Unternehmen nicht, da das eingesetzte System diese Möglichkeit von vorneherein bietet und nicht erst teuer implementiert werden muss.
Auf der Sprykerbühne auf dem Online Marketing Rockstars Festival in Hamburg vor wenigen Wochen wurde das Thema Omnichannel auch von Alexander Graf und Arvato diskutiert. Anhand des Hype Cycle Graph wurde beschrieben, dass sich der Omnichannel nach dem anfänglichen Hype und dem tiefen Sturz so langsam auf dem „Pfad der Erleuchtung“ befindet, also sich immer mehr die richtigen Anwendungsfälle herauskristallisieren. Das zeigt sich durchaus an den beiden genannten Beispielen.
B2B Omnichannel
Auch im B2B erweist sich, dass erfolgreiche Omni-/ Multichannelmodelle durch einen Technologie getriebenen Ansatz deutlich erfolgreicher sind. Bestes Beispiel ist Contorion. Das Startup hat sich auf den Vertrieb von Werkzeugen über den Online Shop spezialisiert und eröffnete zusätzlich den ersten Flagship Store in Berlin. Hier kann das Unternehmen vor allem wertvolle Erkenntnisse über den stationären Vertrieb sammeln, doch das Kerngeschäft wird weiterhin der Online Shop bleiben. Man reagiert damit darauf, dass die Zielgruppe auch weiterhin noch den persönlichen Kontakt schätzt und testet es einfach aus.
Hier ist auch Engelbert Strauss zu nennen, die eigentlich aus dem klassischen Kataloggeschäft kommen, diesen Kanal weiterhin prominent unterstützen aber insbesondere auf den Online Shop als zentrale Plattform setzen, an den auch der Katalog und die bisher vier Workwear Stores geknüpft sind. Wie erfolgreich das Ganze funktioniert, habe ich bereits in einem separaten Artikel behandelt.
Entweder man macht es richtig oder man sollte es ganz bleiben lassen
Prinzipiell lässt sich aber festhalten, dass es durchaus paradox ist, dass die guten/erfolgreichen Onliner den Servicegedanken wieder in die stationären Geschäfte tragen. Und das ist in vielen Bereichen leider auch bitter nötig. Dort mangelt es oft auch nach eigenen Erfahrungen an der richtigen Beratungskompetenz, von der Hilfsbereitschaft mancher Servicemitarbeiter ganz zu schweigen: „ Sie kommen zurecht, oder?!“ Obwohl man hier nicht pauschalisieren sollte – man hört den Satz nur sehr häufig.
Es soll auch nicht heißen, dass erfolgreicher Omnichannel für Unternehmen aus dem klassischen Einzelhandel nicht möglich ist – Douglas wird da ja als eines der wenigen guten Beispiele gehandelt – aber es ist ungleich schwerer und mit viel Aufwand verbunden. Vor allem sollte es nicht als halbherziges Pseudodigitalisierungsprojekt umgesetzt werden, sondern mit der entsprechend höchsten Priorität, mit technischem Know-how, das man sich hinzuholen muss, und dem notwendigen Budget angegangen werden. Sonst kann man es gleich bleiben lassen, denn Kunden verzeihen es eher, wenn man keinen Omnichannel anbietet, als wenn ein schlechter Ansatz realisiert wird (Jörg Dubiel, Conrad Electronics).
Kundenfokus mit technischem Ansatz sollte in die eigene DNA aufgenommen werden
Was aber vor allem eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Realisierung eines solchen Modells ist, ist, dass man begreifen muss, das offline auch nur ein Touchpoint zum Kunden darstellt und dass das Geschäfts als Kanal wie die anderen verstanden werden sollte, der sowohl für Vertrieb aber auch insbesondere für das Marketing und für den Service von entscheidender Bedeutung sein kann. Auch wenn die Filialen vordergründig nicht den Umsatz erbringen, leisten Sie doch ihren Teil am Gesamtumsatz des Unternehmens und darum geht es. Kein Konkurrenzdenken, keine Vorurteile zwischen Online und Offline, sondern gegenseitige Unterstützung. Hier müssen die Wertigkeit einer Filiale im Gesamtkonzept bewertet werden und nicht separat. Oft dient der Laden auch als Anlaufstelle für eine intensivere Beratung, während der Kauf dann online stattfindet. Wo der Kunde einkauft, sollte eigentlich nicht die Rolle spielen, Hauptsache er kauft.
Die Symptome zu bekämpfen hat noch selten geholfen. Es gilt an der Ursache anzusetzen, bei der Kundenorientierung und den Kundenanforderungen, die eigentlich nur noch mit einem technischen Ansatz bedient werden können. Händler, die das in ihre DNA aufgenommen haben und sich von lästiger Firmenpolitik lösen können, werden es hier deutlich leichter haben.
(Titelbildquelle: www.shoepassion.com/press/)
0 Kommentare