Die Agenturen haben sich mit den Anforderungen des Onlinehandels weiterentwickelt und sind längst keine reinen Dienstleister für die Entwicklung. Sie übernehmen wichtige Aufgaben in der Beratung, wenn es darum geht, neue Unternehmensstrategien und Projektvisionen zu entwickeln. Gerade die Beratungsleistung wird von den Unternehmen zunehmend gefordert und geschätzt.
„Agenturen im Wandel – Einst Webseitenbauer, nun Digitalberatung, Umsetzer, operative Betreiber und das am liebsten mit einem Werkvertrag“ – Agenturpanel auf der OMR
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Boris Lokschin: Wie hat sich das Agenturportfolio, das ihr habt, in den letzten zehn Jahren gewandelt?
Alexander Janthur: Was auf jeden Fall eine Entwicklung ist, ist, dass es neben der reinen Projektumsetzung ein starkes Interesse der Auftraggeber an der Arbeitsmethodik gibt – die Arbeitsmethodik zu lernen oder sogar zu implementieren. Und dass wir aus einem klassischen Arbeitgeber-Dienstleister-Verhältnis immer stärker zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit kommen, in dem Sinne, dass wir für bestimmte Phasen Teil des Unternehmens werden oder sogar das Unternehmen Teil der Agentur. Das ist eine enorm starke Entwicklung in den letzten zwei, drei Jahren, die unsere Arbeitsweise und unsere Methodik verändert.
Jan Hildburg: Vor fünf bis zehn Jahren waren wir stark darauf konzentriert, eine Technologie, eine Plattform im Griff zu haben. Da waren wir tief drin und Experten. Das hat sich inzwischen alles ein bisschen in die Breite gezogen. Es heißt jetzt nicht mehr Spryker, Magento, Salesforce, Commerce Cloud im Griff zu haben, das müssen wir auch, aber die Kunden erwarten mehr. Die Wertschöpfungskette ist breiter geworden. Es geht wirklich darum, den Kunden als Business-Partner zu unterstützen, nicht mehr nur als IT-Werkbank.
Michael Türk: Darüber hinaus haben die Unternehmen auch die Anfragen verändert. Vor zehn Jahren, als es losging mit E-Commerce, haben Tausende von Leuten, manche mit ganzheitlichem Konzept, manche ohne, einfach mal begonnen irgendwas zu tun. Das hat auch ein Stück weit funktioniert. Wir haben zwischendurch sehr viel SEO, SEM gemacht. Das machen wir heute gar nicht mehr, weil das ein Stück weit automatisch kommt, wenn man gute Arbeit macht, vor allem aus User-Experience-Sicht. Wir versuchen all das zu machen, was Kunden erfolgreicher macht. Das bedarf hin und wieder, neue Wege zu gehen.
Volker Will: Die ganze Branche hat sich professionalisiert. Als wir vor zehn Jahren Onlineshops gemacht haben, da war die Fragestellung, was muss ich da machen. Ich kann Filialen eröffnen, aber ich weiß nicht, was für einen Onlineshop ich machen muss. Welchen Rechner muss ich mir denn kaufen? Heute ist die Fragestellung eher, ich habe vor, eine CRM-zentrierte Omnichannelstrategie zu machen, ich habe hier ein ERP, dort ein CRM und da ein bestehendes Onlineshopsystem. Was kann ich machen, damit mein Business-Modell besser funktioniert?
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Boris Lokschin: Was mich interessiert ist, ist es tatsächlich auch Geschäftsmodell-relevant mehr im Bereich Methodik, Strategie, Tooling, Support, beim Aufbau der Tech-Organisation und des Org-Charts eines Kunden mitzuspielen und das auch fakturiert zu bekommen?
Jan Hildburg: Der Kunde sucht Beratung. Das ist das, was wir immer wieder hören. Er will nicht einen Projektmanager da sitzen haben, der das entgegennimmt vom Kunden, sich irgendwelche Anforderungen ableitet, das in die IT gibt und dann kommt was ganz anderes raus als er wollte. Er will jemanden haben, der sein Business versteht und das mit ihm gemeinsam weiterentwickelt – mit den Services, die die Agentur bietet oder dem Netzwerk.
Alexander Janthur: Was ich sehr interessant finde, ist, dass mit der Projektumsetzung mittlerweile auch Unternehmensentwicklungsaufgaben verknüpft werden, zum Beispiel die Begleitung von einem Team-Aufbau beim Auftraggeber, die Vertiefung von Methodiken, die Umstellung, dass zum Beispiel die eigene Entwicklungsunit auch agil nach Scrum oder Kanban entwickelt. Also, dass es sozusagen neben der reinen Projektarbeit immer mehr Entwicklungsziele gibt, die die Digitalisierung des Unternehmens unterstützen.
Volker Will: Eine Frage an euch: Letztendlich ist das Dilemma von allen Agenturen doch immer, dass Beratungsleistung nicht bezahlt werden will. Wir sind alle an den Businessmodellen unserer Kunden interessiert und wollen das Beste tun, damit die Businessmodelle funktionieren. Wenn es aber darum geht, Beratungsverträge à la Accenture & Co. abzubilden, schaffen wir das nicht, auch nicht zu den Preisen.
Michael Türk: Das sehen wir aber anders.
Volker Will: Wunderbar. Komm mal vorbei.
Michael Türk: Wenn man sich anguckt, bei wem Accenture & Co. diese Beratungsleistung auch verkaufen kann, das sind prinzipiell größere Player, die entsprechend auch eine Wertschätzung für solche Leistungen haben. Accenture kriegt das ja auch nur hin, weil sie sich einen gewissen Ruf erarbeitet haben. Prinzipiell ist die Branche ja dahingehend bisschen speziell, dass man immer den Eindruck hat, es ist alles trivial, was wir machen. Da muss man halt gegenarbeiten. Ich glaube, das ist eine Geschichte, die wir alle vorantreiben müssen. Wenn man dann irgendwann die Wertschätzung für diese Beratungsleistung etc. hat, dann ist es auch möglich, das entsprechend in Projekten abzurechnen. Da sehen wir durchaus, dass da aktuell eine Bewegung stattfindet.
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Boris Lokschin: Wie gieße ich die Wünsche der Fachabteilung, des E-Commerce-Leiters an ein hoch agiles Projekt in einen Werkvertrag, in einen Festpreis idealerweise? Mit Geld-zurück-Garantie, mit Wasserfall-Timeline, die ich super reporten kann und die er dann an den Vorstand hochtragen kann?
Alexander Janthur: Wir haben vor drei Jahren beschlossen, dass wir nicht nur intern agil arbeiten möchten, sondern auch mit den Auftraggebern. Der letzte Werksvertrag ist drei, vier Jahre her. Da gibt es sehr viel Bewegung und Bereitschaft, sich auf neue vertragliche Rahmen einzulassen. Nichtsdestotrotz muss man einen Rahmen anbieten. Ein reines Time-and-Material und dann gucken wir, wo wir nach 12 Monaten stehen, das kommt sehr selten vor. Das heißt eine Anforderungsanalyse oder eine Diskussion, wie man in einer längeren Zusammenarbeit immer wieder den Anforderungsraum definiert, der erbracht werden muss – das sind ganz zentrale Punkte beim Aufgleisen von Projekten. In der Regel ist es so, dass wir bei Projekten, wo das Business-Modell gut beschreibbar ist, mit einem Anforderungsrequirement starten, das grob definiert wird.
Michael Türk: Die Frage ist ja, wie das Ganze dann rechtlich läuft. Aus meiner Erfahrung kann man mit dem Kunden ausmachen, was man möchte, wenn dann ein Richter dazu kommt, sagt der immer, es ist ein Werk. Und dann hat man sich mit einem Nicht-Werkvertrag tendenziell fast schlechter gestellt.
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Boris Lokschin: Was ist die Top-Best-Practice für ein erfolgreiches E-Commerce-Projekt und was ist der Top-Pitfall?
Alexander Janthur: Die erste Frage, die wir in Gesprächen stellen, ist nach dem Businessmodell und den Kunden. Das Erstaunliche, vor allem im B2B ist, dass die Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen der Kunden und kundenzentriertes Handeln zum Teil verlernt worden ist oder vielleicht auch nie da war. Es gibt ein enormes Know-how im Produktmanagement, aber in der direkten Kundenbeziehung gibt es immer viel Nachholbedarf. Wenn wir da keine Antworten bekommen oder wir dann direkt bei einer Tool-Diskussion sind, dann machen wir weiter bis wir eine Antwort bekommen. In der Regel ist es so, wenn diese Lücke sichtbar wird, dass dann eine konzeptionelle oder strategische Phase vorgeschaltet wird und man nicht eine fehlende Strategie durch ein Tooling ersetzt.
Jan Hildburg: Ein ganz wichtiger Punkt ist das Zusammenarbeitsmodell zwischen Agentur und Kunde. Wenn es nach uns geht, ist der Kunde, und zwar eine Person beim Kunden, die entscheidungsbefugt ist, Teil des Teams in der Agentur. Das heißt, wir machen, wenn gewünscht, Planungsmeetings zusammen, machen auf jeden Fall Reviews und es gibt volle Transparenz auf Cost-Burn-Down, Scope, Progress, Ergebnisse. Das ist der Modus, den wir uns wünschen. Das ist auch der Modus, den wir bei Kundengeschäften, die wir selbst als erfolgreich erachten, gerade sehen. Das wäre das „Do“. Das „Don’t“ ist, wenn wir Ausschreibungen oder Kunden begegnen, wo in der Initialisierungsphase klar wird, dass die Perception ist, ich kauf da jetzt mal einen Shop, das ist irgendwie ein weiterer Kanal. Also, ich kauf den VW Golf, der rollt dann vom Band runter, dann ist der fertig, ich leg den Schalter um, mach ein bisschen Online-Marketing und dann läuft das. Das gibt es immer noch in 2017. Das ist der Punkt, wo man heute auf die Bremse treten muss. Moment. Stopp. Das funktioniert nicht mehr so.
Michael Türk: Mein „Do“ wäre „Empower your People“, also die Leute, die im Projekt arbeiten. Es gibt so viele Projekte, gerade im B2B, wo der E-Commerce-Teil der Unterpunkt 23 von einem IT-Projektleiter ist und der sucht jemanden, der den Hansel für ihn stellt. Dieser Hansel darf aber nicht eine Entscheidung selbst treffen. Dann stehen die Projekte eigentlich stetig vor sich hin. Das macht niemandem Spaß. Das „Don’t“ hängt ein Stück weit damit zusammen. Viele Unternehmen bewerten Shop-Projekte auf Basis des bisherigen Umsatzes im E-Commerce, vielleicht auch aus der engstirnigen Sichtweise heraus, sowas kannst du online ja gar nicht verkaufen. Man kann alles online verkaufen. Man muss es eigentlich damit bewerten, was das Potenzial ist. Und dann muss man auch die richtigen Leute draufsetzen, und es eben nicht zum 48. IT-Projekt neben ERP-Rollout etc. machen, sondern ein dediziertes Team haben, das das auch zu leisten vermag.
Volker Will: Was mir persönlich immer sehr wichtig ist, ist, dass die Chemie stimmt. Am Ende des Tages arbeiten Menschen mit Menschen zusammen. Wenn die Menschen gut funktionieren, dann funktioniert auch ein Projekt ganz gut. Man muss natürlich auch gucken, dass man selber Fehler vermeidet. Man kann ja den schwarzen Peter auch immer zum Kunden schieben, aber ich muss ehrlich sagen, in meiner Karriere haben wir so viele Fehler gemacht, auch erst vor kurzer Zeit. Daraus muss man immer wieder lernen und gucken, dass man das optimiert.
Boris Lokschin: Der Mensch im Fokus – das finde ich ein schönes Schlusswort für eine digitale Messe und Konferenz.
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